Kapitel 1: "Stimmen"

Stefanie
„Ich weiß nicht, daß ich nichts weiß.“



Die fremde Wohnung

Es ist alles in Ordnung.

Sie war nur einen Augenblick eingeschlafen. Kein Grund zur Panik. Ruhig bleiben. Das war das Wichtigste. Nicht die Nerven verlieren. Irgendwann würde sie schon herausfinden, wo sie ist. In wessen Wohnung.

Das fand sie meistens heraus. War sehr geschickt darin. Nichts anmerken lassen, zuhören, genau beobachten. Und ruhig bleiben.

Manches allerdings fand sie nie heraus: Wie sie an die fremden Orte gekommen war. Was vorher geschehen war. Aber danach fragte sie sich schon längst nicht mehr. Sie hakte die Vergangenheit ab, sammelte ein paar lose Fäden auf und machte weiter.

Diesmal lag sie auf einer Couch. Einer fremden Couch. Rauher Stoff, Leinen vielleicht, braun mit grauen Streifen. Ein paar Kissen. Nicht ihr Geschmack. Ein Aquarium, ein Bücherregal. Vier Fenster, alle zu. Nur eine Tür, auch die geschlossen.

Keinen Fehler machen.

Sie blieb reglos liegen und lauschte. Stille hinter der Tür. Offenbar war sie allein. Gut. Das ließ ihr Zeit, sich umzuschauen, sich vertraut zu machen. Nach Erinnerungen suchen, einen Halt finden. Manchmal, das kannte sie schon, wurde sie ohnmächtig und wachte an einem anderen Ort wieder auf. Zu Hause, wenn sie Glück hatte. Irgendwo auf der Straße, nachts, ohne Hausschlüssel, wenn sie Pech hatte. Auf alle Fälle war es besser erst einmal allein zu sein. Dann mußte man nichts erklären, nicht lügen.

Sie streckte die Beine aus. Vorsichtig. Bewegte die Arme, die Finger. Nein, keine Schmerzen. Gut.

Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Aber das war überhaupt nicht ihre; diese Uhr hatte sie noch nie gesehen, eigentlich war das gar keine richtige Uhr, es gab kein Zifferblatt, keine Zeiger, sondern nur eine Reihe Zahlen: 15:35:23 stand da, die letzten Zahlen veränderten sich ständig. Sie hatte so eine neumodische Uhr vor kurzem in einem Schaufenster betrachtet, und am Arm eines Geschäftsfreundes von ihrem Vater war auch mal eine gewesen. Aber sie selbst besaß so etwas nicht. Außerdem wäre ihr Bruder der Erste, der solch ein Geschenk bekäme. Und nicht sie.

Auch dies hakte sie ab, wie die meisten Überraschungen in ihrem Leben.

Weitermachen.

Sie setzte sich auf. Legte ihre Hand auf den Tisch und trommelte mit den Fingerspitzen auf das Holz. Ein niedriger, schwerer Couchtisch, darauf ein Aschenbecher mit einer halbgerauchten, glimmenden Zigarette.

... glimmenden Zigarette!

Ihr wurde heiß vor Panik: Jemand hatte hier vor kurzem geraucht. Es war doch noch einer in der Wohnung!

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